Vom Losziehen wie am ersten Tag – auf Bikepacking Meniskusrehab Tour.

 

…& jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. (Hermann Hesse)

 

Immer wieder aufs Neue loslassen. Immer wieder aufs Neue wachsen, sich neu finden. Seine Grenzen neu kennenlernen. Auch wenn man sie vermeintlich schon längst ins „Absolute“ verschoben hatte. Das ist für mich – ganz ehrlich – gar nicht mal so einfach, auch wenn ich es schon so, so oft getan habe und nach jeder neuen Verletzung neu tun musste, um in meine große Liebe, das Bikepacking, zurück zu finden.

Nach jeder ungewollten Auszeit vom Rad & von der Bewegung ist die initiale Frage stets: „Wie lange wird es diesmal dauern, bis ich wohl auf meinem alten Level wieder angekommen bin“ und „Wie unbequem und unschön wird das wohl wieder werden?“. Denn, ganz ehrlich: wer mühelos und mit fettem Grinsen im Gesicht schon im Frühjahr 360iger Orbits mit diversen Höhenmetern absolviert, der weiß, dass es nicht leicht werden wird, nach wochenlanger Krückenodyssee und einer totalen Ruhigstellung des linken Knies wieder ganz genau dorthin zu gelangen. 

 

Eine neue Verletzung: doch was diesmal anders war.

Allen voran war die Verletzung meines Meniskus vor allem absolut anders als meine vorherigen Verletzungen und die Knochenbrüche, die mich zwar damals auch von 100% auf unter 0 gebracht haben, die jedoch in ihrer Heilung ganz anders zu managen waren als dieser Riss in dieser sehnigen Struktur in meinem Knie. Mein Meniskus hat mir die ganze Zeit über nicht wirklich mitgeteilt, wie drastisch es wirklich um ihn stand: das Ausmaß des Riss und wie krass der Befund dann wirklich war, wurde erst während der OP richtig festgestellt. 

Die Schmerzen, die ich hatte (und die kurz vor der OP eigentlich bei nahe 0 waren) standen in keinem Verhältnis zum Schaden des Meniskus. Das ist der große Nachteil, wenn solches Gewebe im Körper verletzt sind, das eben nervlich nur sehr wenig bis kaum innerviert, sprich versorgt, ist. Dies verkompliziert auch die Heilung – denn: wonach sollte ich mich hier richten, wenn nicht eben auf mein Schmerzgefühl und die eigentlich maßgebenden Warnsignale meines Körpers? Ich war zwischendurch immer wieder aufs Neue ratlos & teils Angsterfüllt. Es war und es ist – immer noch – sehr, sehr tricky und ein permanentes Aufpassen & Abwägen. 

 

Zurückkommen, um wieder neue statt alte Wege zu gehen.

Und dennoch, musste ich ja irgendwann beginnen, wieder neue Wege zu gehen. Um zurück an jenen Punkt zu gelangen, den ich doch so sehr liebe: mühelos mit meinem Fahrrad über alle Berge zu klettern, um ganz einfach nur noch frei zu sein. 

In Gedanken sah ich mich allerdings schon leiden. Ich denke, die Radler:innen unter Euch kennen das Gefühl, wenn man das erste Mal wieder zurück am Berg ist, nach einer langen Phase einer Fahrrad-abstinenz oder langen Trainingspause. Es kann echt ganz schön ernüchternd sein und ganz ehrlich: ich hatte zu Beginn wirklich Respekt, mich dieser Situation (mal wieder aufs Neue) zu stellen. 

Doch ich wusste, dass ich dies tun musste, wenn ich ganz und gar zurück kommen wollte. Und so kannte ich nach dem „Go“ meines Orthopäden, nach 6 Wochen auf Krücken endlich wieder Radfahren zu dürfen, auch kein Halten mehr. Ich begann mit kleinen Runden nach dieser einschneidenden Verletzung: 1 Stunde, 2 Stunden, mehr flach, leicht wellig. Versuchte, bestmöglich in mein Knie hineinzuhorchen. Die Muskeln gezielt aufzutrainieren, auf der Yogamatte, mit Krafttraining und gezieltem Dehnen. Jedes Ziehen, jeder Schmerz wurde von mir (meist panisch) registriert. Hatte ich zu viel gemacht? Die Faszienrolle wurde meine beste Freundin, denn sie half mir, meine angespannte Muskulatur wieder zu entspannen und die ins Knie und in die Meniskusregion ausstrahlenden Schmerzen zu beruhigen. 

Ich fuhr im Tageswechsel Rennrad: 1 Tag radeln, 1 Tag Pause. Und tastete mich langsam wieder zurück an „Mehr“ und den Status „Normal“. 

 

Zurück ins Radeln & ins Leben finden – Schritt für Schritt. 

 

Zurück zum Status quo – die Auszeit in den Schweizer Alpen.

Mit meiner Auszeit im August in den Schweizer Alpen wusste ich, dass ich nicht mehr länger mit dem richtigen Klettern warten konnte. Kaum war ich da, nutzte ich zunächst den verregneten Sonntag, um nochmal aufzutanken, viel (sehr viel!) zu schlafen und um richtig anzukommen. Nur, um dann am darauffolgenden Montag meinen ersten Alpenpass seit langer, langer Zeit und überhaupt nach der Verletzung zu radeln. Genau 8 Wochen post-OP stand ich also plötzlich wieder strahlend am Grimsel, auf 2164NN, und konnte mein Glück kaum fassen. 

Eigentlich war das anders „geplant“ gewesen. Ich wollte ruhiger starten, nicht sofort rauf auf den Pass, wollte „vernünftig“ sein und mich nach und nach rantasten…

Doch an diesem Morgen sagte mir was in meinem Bauch, dass ich es einfach tun musste. Einfach rauffahren, ohne mir noch länger Gedanken darüber zu machen. Dass ich einfach atmen & kurbeln musste, dran glauben durfte, dass ich soweit war und ich genau diesen Moment brauchte, um wieder weiter wachsen und den nächsten Schritt in meiner Meniskus-Rehab gehen zu können. Ich durfte mich in diesem Moment wieder ein Stück stärker werden lassen – und in den ersten Sekunden war es jedoch einfach nur so unfassbar ungewohnt, mich nicht mehr in Grenzen wieder finden zu müssen.

 

Zurück im Klettermodus – zurück im Glück. 

 

Vom „Eingeengt-sein“ in den alten Grenzen.

Denn Grenzen, hatte es in den vergangenen Wochen & Monaten einfach zu viele gegeben. Nicht erst mit dem Start meiner wochenlangen Krücken-Misere, sondern schon davor. Grenzen, ohne wenn & aber. 

Viele Restriktionen, durch die viele Arbeit, die bei mir am Tisch lag, meine Prüfungen der Yogalehrausbildung sowie meiner Promotion. Es gab immer etwas, das mich (scheinbar) „fest“ und eben in Grenzen hielt. Und so sehr ich der so lang ersehnten Freiheit dann auch entgegen gefiebert hatte, so schwer war es dann, sie endlich wieder auch willkommen zu heißen und zulassen zu können.

 

Back Home – zurück über Grenzen. 

 

Wie sehr ich auch nach der OP noch in diesen Grenzen gefangen war, wurde mir so richtig bewusst, als ich dann die erste kleine Bikepacking-Tour in der Schweiz starten wollte. Ich wollte eine Zweitagestour machen, um zu schauen, wie mein Knie der Pässe-Belastung an zwei aufeinanderfolgenden Tagen standhalten würde und auch, um endlich mal wieder das Gefühl zu haben, richtig rauszukommen und unterwegs zu sein. Das Stillen der Nomadenseele eben.

Obwohl ich mir eine Unterkunft gebucht hatte, um mir das Gepäck & somit das Gewicht am Rad fürs Knie  zu sparen und ich entsprechend nur wenig Zeugs für unterwegs benötigte, fühlte sich das Packen & Starten mental so an, als würde ich auf Weltreise gehen.
Ich realisierte, dass ich mich wahnsinnig schwer damit tat, loszulassen, um einfach loszuziehen. Ich hielt fest an „Sicherheiten“ und Routinen, die mir das Zuhause hier gab, fühlte mich eingeschränkt von meiner Angst, es nicht schaffen zu können und malte mir im Kopf hundert(-tauend) Dinge aus, die mir unterwegs passieren könnten. Spoiler: Darunter waren absolut keine Dinge, die nicht zu lösen gewesen wären, dennoch fühlte es sich zunächst einfach nur so unglaublich schwer und viel zu „groß“ an. 

 

…& wie ich sie dann sprengte.

Ich tat dann etwas, was ich mir in den letzten Jahren nur selten gegönnt hatte: ich bewahrte mir eine Ruhe, schlief am Tag zuvor viel, tat so gut wie nichts. Wirklich n i c h t s. Den lieben langen Tag lang. Solange, bis mir fast schon zu langweilig wurde. Ich unternahm mit dem Bulli eine kleine Tour zum Brienzer See, nur, um dort ein Eis zu essen und aufs Wasser zu schauen und meine Füße abzukühlen. Immer wieder sagte mein Kopf mir währenddesen, dass ich das gerade nicht verdient hätte und immer wieder arbeitete ich an mir, mir genau diese Momente jetzt auch mal zu gönnen und sie einfach zuzulassen. Einfach nur mit mir zu sein & eben n i c h t s zu tun. 

 

Mein Körper, meine Seele und mein Kopf – sie dankten es mir.

 

Mit genau diesem Tag voll an Ruhe & Regeneration konnte ich am nächsten Tag dann auch trotz dem miesen Wetter voller Kraft & Mut in meine erste Bikepackingtour der Meniskus-Rehab starten. Ich fühlte mich zunächst, als wäre ich noch nie so losgezogen und doch wurde ich nach und nach mit jeder Kehre, die ich den Sustenpass raufkurbelte, freier im Kopf & im Herzen glücklicher.

 

…& dann erstmal vorneweg: so richtig G A R nichts tun.

 

Endlich wieder unterwegs.

Diesen Zustand konnten selbst das Nebelwetter und der leichte Schneeregen oben am Pass nichts anhaben und so sauste ich dick eingepackt und dennoch wie ein Eiszapfen die andere Passseite wieder hinunter, um über Andermatt und den Gotthardpass ins Tessin weiterzuklettern. 

Während ich vor mich hin radelte und es mir Richtung Andermatt via Schöllenen hoch langsam wieder warm wurde, dachte ich an die zahlreichen Touren, die ich hier schon gefahren hatte. An all die Gemütszustände, die mich hier verfolgt hatten. Von purer Freude bis hin zu purer Verzweiflung. Ich dachte daran, wie oft ich mich hier auch schon unter Druck gesetzt hatte, weil ich mir selbst nicht genug war und ich dachte, nicht genug leisten zu können.

Als ich mir in einer Bäckerei, in der ich mich vor Jahren schonmal in einem dieser miesen Seelenzustände befunden hatte, einen Kaffee und ein Nussweckle gönne, bin ich erleichtert. 

Erleichtert, weil ich realisiere, mir endlich wieder mehr über den Weg trauen zu können. Erleichtert, weil ich mir dieses Nusshörnle gönnen kann, weil mein Magen gerade danach gerufen hat. Erleichtert, weil ich weiß, dass mich danach keine quälenden Gewissensbisse antreiben werden.  Und erleichtert, weil mein Knie bis hierher nichts gesagt und nicht einmal gemuckt & gezwickt hat. 

 

…die 4 Jahreszeiten am Sustenpass. 

 

Mit diesen Gedanken im Kopf packe ich mich wieder dick ein und mache mich auf, weiter – rauf zum Gotthardpass. 

Die ersten Kilometer rauf auf den Pass sind der Horror. Es ist Sonntag und obwohl so mieses Wetter ist, sind unerwartet viele Autofahrer unterwegs – womit ich nicht gerechnet hätte. Ich bin unfassbar froh, als ich endlich den letzten Teil des Anstieges erreiche, auf dem ich auf die alte Tremola-Straße wechseln kann und somit nur noch mit mir alleine bin. 

Diese Freude kann mir selbst das nasse Kopfsteinpflaster, das mich beim bergauf klettern ziemlich durchschüttelt und mir mit jeder Kurbelumdrehung die Energie aus meinen Beinen zieht, nicht wirklich nehmen. Langsam vergesse ich alle Zweifel, ob ich diese Tour auch wirklich schaffen kann und freue mich nur noch auf das, was noch kommen wird. Ich sinniere darüber, wie meine Unterkunft im Tessin wohl ausschauen mag und male mir schon die italienische Pizza aus, die ich so gerne nach „Radlfeierabend“ futtern würde. 

 

Kaffee, Nusshörnle & Tremola-Liebe am Gotthardpass.

 

Doch bis zur Pizza (die es dann leider mangels Möglichkeit doch nicht geben wird, wie so oft, wenn ich mal davon träume) wird es noch eine lange Abfahrt auf der alten Tremola der Gotthardsüdseite und einen knackigen Anstieges rauf zur Unterkunft auf über 1000m lang dauern. Langsam realisiere ich zusätzlich, dass ich für die Unterkunft viel weiter südlich ins Tal Leventina abfahren muss, als ich eigentlich gedacht hatte. 

Das wäre nicht weiter schlimm, wenn ich all das am nächsten Tag nicht alles wieder rauffahren müsste, um zu meinem Ziel des Nufenenpass zu kommen. Ich verdränge den Gedanken daran in der Abfahrt den Gedanken semi-erfolgreich und sehe mich nur kurze Zeit später den steilen Anstieg hoch zu meiner süßen kleinen Unterkunft schwitzen.

Mittlerweile habe ich alle Klamotten abgeworfen und fahre in kurz/kurz – und nehme somit an diesem Tag gefühlt alle Jahreszeiten mit. 

Die Unterkunft ist urig – die Tür steht offen, ich kann einfach eintreten. Hier oben in diesem kleinen Örtchen im Leventinatal des Tessins wäre auch nichts & niemand, der hier etwas wollen würde. Bis auf das kleine Restaurant, in dem ich später noch essen werde, gibt es hier nichts. Nichts, bis auf Berge, Natur, Birnenbäume (fürs Dessert) & ein paar Katzen, die über die leeren Gässchen schlendern. 

 

Ich bin – im Paradies.

 

…urig schlafen & lecker essen. 🙂

 

Zurück im Nomadenmodus – Futter für die Seele.

Das Restaurant ist klein und einfach, ich sitze draußen auf der Terasse und kann mich – kaum verständigen. Ich spreche kein italienisch und die Gastgeber:innen weder englisch, französisch noch deutsch und so mache ich ihnen zumindest mit Händen und Füßen und einem französischen Sprachmix klar, dass ich gern alles essen würde, nur dass es bitte eben ohne Fleisch sein soll. Und der Salat gerne groß sein darf! Eine Speisekarte gibt es nicht & so wird es ein Überraschungsmenü der besonderen Art, das mich jedoch am Ende ganz happy macht, auch wenn es nicht die ersehnte Pizza ist. Der Cappuccino mit einem dicken Schuss Sahne obendrauf macht am Ende das Feierabendglück in jedem Fall perfekt. 

So falle ich später müde und zufrieden ins Bett und starte am nächsten Tag früh im Dunklen, um so rasch wie möglich das lange Tal zurück nach Airolo und an den Fuß des Nufenenpass zurückzukurbeln, bevor der Transitverkehr Richtung Gotthardmassiv losbricht. Ich genieße die Stille und sinniere mein Frühstück im Kopf vor mich hin, das ich mir für Airolo aufgehoben und das ich mir aufgrund der frühen Abfahrt in der Unterkunft gespart habe. 

 

Klettern zum Frühstück.

Die Auffahrt geht dann besser als gedacht, zieht sich nur hin & wieder etwas zäh und rollt nicht ganz so schlecht wie befürchtet. Es ist das erste Mal, dass ich hier durchs Leventinatal bergauf hochfahre, denn sonst zieht es mich hier meist weiter Richtung Süden, den Abfahrtswind um die Nase wehend genießend. 

Nach einem bunten Frühstück, das ich mir im Coop aus Joghurt, Früchten & Haferflocken zusammen mixe und am Marktplatz in der endlich über die Berge scheinenden Sonne genieße, wartet dann der Nufenenpass auf mich und ich freue mich richtig darauf, kenne ich diesen Pass auffahrtstechnisch doch bisher nur von seiner steilen Seite her. Ich ahne, dass die Auffahrt von Airolo aus sich ziehen wird und bin dann auch eine ganze Weile mit ihr beschäftigt. Und dennoch: genieße ich hier jeden Kilometer. Das letzte Drittel des Passes ist mit das Schönste, langsam kommen ein paar Kehren, die Umgebung ist wild, verlassen. Der Nufenen ist der höchste Passübergang der Schweizer Alpen und ein sehr „junger“ Pass –  und da er keine Hauptverkehrsstrecke bildet, ist er entsprechend ruhig und diese Stille genieße ich sehr. 

 

Kletterparadies der Schweizer Alpen, der Nufenen.

 

…& Klettern für das Seelenheil.

Überhaupt bin ich froh, wieder zurück im meditativen Klettermodus zu sein. Ich spüre, wie die Berge um mich herum Kraft schenken. Wie sie es mir leicht machen, wieder mühelos dem Himmel entgegen zu kurbeln. Wie ich nach und nach wieder leichter & freier im Kopf werde. Mit diesen Gedanken radle ich durch das Rhonetal via dem Grimselpass wieder zurück nach „Hause“, nach Meiringen, meiner Homebase in meiner Auszeit. Dorthin, wo nur 36 Stunden vorher alles begonnen hatte.

Ich komme zurück und bin glücklich. Glücklich, es geschafft zu haben. Losgelassen zu haben.

 

Glücklich, weil ich mich Ängsten gestellt habe. Glücklich, weil ich weiß, dass gerade wirklich alles heilt, in mir. Vom Knie, bis hin zum Herz – und entsprechend meinem Kopf.

 

…& somit ist Losziehen wie am ersten Tag – daher wirklich nicht bequem. Es ist nicht immer einfach. 

Doch es ist dennoch – immer wieder einfach einzigartig. Mit einem Zauber inne & einfach richtig schön. 

 

Ein Kommentar bei „Vom Losziehen wie am ersten Tag – auf Bikepacking Meniskusrehab Tour.“

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