Across Europe: Unterwegs auf dem European Divide Trail (II)

Der European Divide Trail ist die längste offizielle Bikepackingroute der Welt. Er durchquert auf seinen 7600 km Europa vom äußersten Südwesten am Cabo de São Vicente bis zum nordöstlichsten Punkt, der Grense Jakobselv in Norwegen, direkt an der russischen Grenze gelegen. Der Macher des European Divide Trails, Andy Cox, hat Jahre an dieser getüftelt und geradelt und mich mit seinen inspirierenden Instagram Beiträgen in den Bann gezogen und mich schon während der Routenentstehung dazu veranlasst, meine eigenen Pfade zu verlassen und dem Pfad eines anderen zu vertrauen und dessen Spuren zu folgen. In diesem Jahr 2022 war mein Traum soweit – und ich durfte 2 Monate lang mit meinem Rad Europa auf den Spuren von Andy  durchqueren. Ein Abenteuer fürs Leben – der ganz besonderen Art.

Kein Zurück mehr

Es dauert eine Weile, bis ich nach und nach meine Strukturen im Kopf loslassen kann. Während ich noch am ersten Morgen meinen Kocher auspacke, mir Zeit für ein Frühstück nehme und den Tag langsamer beginne, beginnen die folgenden Morgende der nächsten Wochen & Monate meist sofort mit Radfahren. Dies war zum einen der Hitze geschuldet, die sich schon im Mai im Süden Europas breitmachte und zum anderen meiner unbändigen Rastlosigkeit: ich wollte fahren, weiterkommen, mich bewegen. Fast um jeden Preis. Ich stoppte wenig und radelte viel. Nahm alles mit, von atemberaubenden Sonnenauf & -untergängen, sengender Mittagshitze mit im Mai schon Temperaturen an die 40° C, frischen, klaren Morgenden und beruhigenden Nächten mit einem Millionensternenhimmel.

Sightseeing on the go.

Wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, braucht es kein Sightseeing – ich sage es immer wieder, egal, wie oft ich darauf angesprochen werde, dass ich für solche Dinge ja keine Zeit hätte oder mir keine Zeit nehmen würde.

Wer abends einmal in die pulsierende Altstadt von Cordoba geradelt ist, inklusive allem Gepäck, was man gerade braucht, die Stadt fühlt, riecht, schmeckt, die Leute um einen herum wahrnimmt, mit dem Verkehr kämpft, sich zwischen Abgasen, Hektik, Stress der Stadt jedoch auch deren Vibe, dem Spirit und der Atmosphäre seinen Weg bahnt – der weiß, was ich meine. Wie, wenn nicht auf diesem Wege, sollte ich eine Stadt besser kennen lernen als so? Dies gilt natürlich auch für Landschaften, Dörfer, verlassene Orte, tiefe Täler und hohe Berge. Es gibt kaum eine andere Möglichkeit, um diese mehr in sich aufzusaugen, als sie zu durchzuradeln. Es ist pure Freiheit.

Die Freiheit in mir

Doch natürlich, in jeder Freiheit, ich nehme auch mich immer wieder selbst ein Stückchen mit. Und natürlich auch am European Divide Trail. Wenn ich „mich mitnehmen“ sage, dann meine ich vor allem meine alten Stimmen, Strukturen und Muster der Magersucht, die ich zwar schon seit langem von mir abgestreift habe, die jedoch vor allem in Belastungssituationen und auf der Langstrecke immer wieder mal mehr und mal weniger lauter werden können.

Ich spürte, wie ich auch hier langsam freier wurde. Ein Riegel zwischendurch, obwohl ich mich erst 15 km seit der letzten Nahrung weiter gekämpft hatte? Okay. Nach einigen Tagen Eis zum Frühstück um 11 Uhr, nach einigen Stunden nüchtern in den nächsten Ort fahren, weil mein Körper nichts anderes haben wollte? Okay. In Cordoba alleine eine große Pizza zum mitnehmen holen und sie zufrieden essen? Okay.

Lernen, „Ja“ zu sich zu sagen – auch zum eigenen Hunger & dem, was der Körper gerade braucht.

Auch wenn alle Entscheidungen selbstverständlich klingen mögen – sie waren es nicht. Nicht für mich – die immer wieder in diesen Situationen „ja“ zu ihrem eigenen Bauch- und Körpergefühl sagen musste und die alle weiteren Gedanken und alten Strukturen aktiv beiseite schieben musste. Dies hat Kraft gekostet und mir jedoch die nötige Kraft & Energie gegeben, diese Zeit am European Divide Trail mit all seinen Herausforderungen überhaupt gesund meistern zu können.
Diese Freiheit werde ich mir auf den folgenden 7600 km immer wieder neu erarbeiten und beibehalten müssen.

Erinnerungen on the go

Today I remind myself to choose life
In a life recovered from an destructive eating disorder like anorexia it always comes to the point where you have to decide yourself again to be free, to stay alive, to set your goals in an healthy way, to stay strong as you are.

Destructive as an eating disorder can be a false sense of hope & safety arises with its thoughts & fears. These sentences like „you’re okay when you’re thin“, „you’re worth to live when you loose weight“, „you’re strong when you’re starving“ bother me scrolling through older pictures of my thinner self, several years ago, past down in my darkest times.

I wasn’t happy & I wasn’t free — even it my pictures seem to speak another truth.

So whenever I need to choose health, my life & freedom again it’s an act of self love instead of self doubt & destruction. There’s no way to go back — never again. But sometimes there seems to be no sense in move on, either way.

So here I am now, taking this challenge again as it is, a new chance to rise, to learn, to move on, to grow & to become one step closer to me & myself again.
Not nice, not brave, not happy — but maybe nevertheless worth to share, because also this is the truth in our lives: continuing, learning, throughout even our darkest days. Continuing, until the sun in our hearts finally begins to shine again.

/wieder zuhause, august 2022

Die Hochebenen und Berge Spaniens

Der südliche Teil des European Divide Trails und mit ihm insbesondere Portugal und Spanien haben sich fest in mir eingebrannt, auch wenn es mir Jahre her zu sein scheint, dass ich diesen Track dort gefahren bin. Ich erinnere mich an meine morgendlichen „Grande Café Due“, für das Ritual „one for me and one for the bike“, die so gut schmeckten wie noch nie zuvor.

Ich erinnere mich an eine Landschaft, die alle 50 km ihr Bild wechselte: von karg zu gelb, von bunt zu grau, von grün zu blau. Plantagen voller Olivenbäume, Hochebenen mit Moos, Heide, Steinen, Felsen, Einsamkeiten. Verlassene Bergdörfer, die leeren Berge: die Montanas vacias und spanisch Lappland. Ich konnte mich den ganzen Tag über nicht sattsehen, nicht sattradeln. So viele Orte hier, so viele Schönheiten, die es zu entdecken gab. Und doch immer auch mein Wille, voranzukommen.

Hochebene, Berge, Hitze, Vielfalt. Spanien!

Ich weiß, dass ich – bei aller Lust zu fahren – auch immerhin etwa 100-150 km am Tag fahren muss, wenn ich in meiner freien Zeitspanne diese 7600 des European Divide Trail schaffen möchte. Und ob ich es schaffen möchte, steht außer Frage. Längst ist es für mich nicht nur eine Reise, sondern irgendwo auch ein Projekt – und ich wäre nicht ich, wenn ich meine Projekte nicht auch zu Ende bringen wollen würde. Wie sehr auch dies noch im Konflikt mit meinen weiteren Grundsätzen stehen sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Daher radelte ich weiter, schob mein bepacktes Rad kilometerweit die Berge rauf, wenn sie durch die steinigen Trails und die Steilheit schon längst nicht mehr fahrbar waren. Ich flickte meine Platten, einen um den anderen, friemelte kleine Dornen aus den Mänteln meiner Räder, verzweifelte an all den Pannen. Ich fand die schönsten Hängemattenspots, die man sich wünschen konnte und war ein ums andere Mal wieder glücklicher, mit dem Unternehmen Ticket To The Moon einen neuen Partner an der Seite zu haben, der mir mit seinem Equipment tatsächlich den Traum der Europadurchquerung mit Hängematte statt Zelt ermöglichen konnte. Selten habe ich so gut draußen geschlafen wie am European Divide Trail. Dies lag zum einen an meinem Equipment, zum anderen aber auch an der wunderbaren Zufriedenheit und Müdigkeit, die sich nach den langen Tagen in mir breit machte und auch an der Einsamkeit dort draußen und den zahlreichen, wunderschönen Orten, an denen ich meine Hängematte aufspannen durfte.

 

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Hinein ins Herz Europas

Nach 2000 km und 20 Tagen befinde ich mich kurz vor der Grenze zu Frankreich – das Meer und bekannte Orte, kleine Meilensteine auf meiner Reise, rufen.

Erinnerungen on the go

TIME TO CLIMB GOODBYE, SPAIN

…with over 2000k & now 20 days in the saddle it’s time today to say goodbye & to cross the second border at the @europeandividetrail..

…Spain leaves me a bit done & dusted, but so relieved & grateful and so fullfilled with all its landscapes & a really tough track out here. Can’t say any further more, cause it makes me feel like being speechless. Speechless, silent, grateful & maybe changed in another new way.
It took me a lot, but gave me so much..

& now, it’s time to climb beyond another border — & to head over to France, the ocean & central Europe. Feels still surreal but looking forward to this personal milestone with a big dip in the ocean tomorrow…
& then..

Ride on

/Grenze zu Frankreich, km 2000, Tag 20

 

Mit Frankreich beginnen die Morgende mit Croissants, die Vorfreude auf ein Sprung ins Meer, die Vorfreude auf meinen ersten Restday, nahe Perpignan.

Nach 20 Tagen non-stop unterwegs sein möchte ich mir einen Tag Ruhe gönnen, oder zumindest: ein Dach über dem Kopf. Ich finde ein wunderschönes Air BnB, etwas abgelegen vom Track, nahe dem Meer und dem Ort, den ich durch meine Workation in Frankreich vergangenen Dezember schon gut kenne.

Auftanken in Frankreich.

Ein Ort der Ruhe. Aufgenommen in dem alten Gutshaus der Familie, mit einem riesigen Innenhof, frühstücke ich zwischen Orangenbäumen und dem Plätschern von Quellen gefühlt stundenlang. Neben mir kriechen Schildkröten umher – ein Sinnbild für mich: es ist Zeit, kurz runterfahren zu dürfen.
Ich lerne hier, was es heißt, nochmals geschützt zu sein. Dieser Ort wird mir gut tun und mir auch zeigen, dass es an restdays nicht viel mehr braucht, als einfach nur zu sein. Wieder mal stelle ich mir meine eigene Frage: Und wo gehöre ich nun hin?

Wir führen Gespräche, rund um Orte von Zuhause sein, vom Träume erfüllen, vom Ruhe finden. An diesem Ort – kann man es wohl alles schaffen. Ich bleibe einen ganzen Tag, verlängere um eine Nacht, fühle mich wohl und könnte wieder ewig bleiben. Und doch, muss ich auch irgendwie weiter. Und so packe ich. Und radle weiter.

Frankreich – die zweite Heimat

Doch mit Frankreich beginnt auch: das Radeln in der gefühlt zweiten Heimat. Wann immer ich hier bin, fühlt meine Seele sich wie ein Stück mehr angekommen. Frankreich hat einen so weiten Horizont für mich, dass es mich immer wieder in den Bann zieht. Insbesondere die Gegend der Provence, sowie die Cevennen, die Auvergne, das Zentralmassiv. Seit meiner Frankreichdurchquerung bin ich verliebt in die Hochebenen dieses Landes, wen der Himmel so weit wird, dass mein Herz vor Freude platzen könnte. Ich werde so ruhig hier, bin so angekommen.

Frankreichmagie.

Und so fliege ich förmlich durch dieses Land – und muss an der Grenze zu Deutschland feststellen, dass ich Frankreich eigentlich noch gar nicht verlassen möchte.
Kam es mir im Jura mit seinen endlosen Hike-a-Bike Passagen noch so vor, als würde ich ewig brauchen, hier hindurch zu kommen, stehe ich plötzlich an der Grenze zu Deutschland und spüre: ich bin noch nicht so weit. Ich möchte nicht loslassen und weiß doch, jetzt beginnt der schwerste Teil – das Flachland, der Part, in dem ich die Berge vermissen werde. Und dennoch, dennoch bin ich dankbar, hier zu sein – es geschafft zu haben. Von Portugal bis fast, fast nach Hause.

Unverkennbar – zurück in Deutschland.

Frankreich hat mich trotz aller Liebe dennoch Körner gekostet. Und ein Hinterrad. Doch auch hier, gab es wie immer für alles eine Lösung.

Es ist später Abend, als ich auf Asphalt merke, dass mein Hinterrad eiert und eiert. Ich tippe auf einen Schlag oder ggf. etwas mit den Speichen und versuche, mich nicht darum zu kümmern, denn ich muss einen Schlafplatz finden, bevor es endgültig zappenduster ist. Doch irgendwann muss ich danach schauen, und was ich sehe, gefällt mir gar nicht: Meine Felge ist an der Speiche direkt aufgeplatzt, 3 tiefe Risse ziehen sich weg vom Speichennippel, rein in die Felge. Ich möchte fluchen, doch nehme ich zusammen. Tippe schnell ein paar Whatsapps, frage Basti, meinen Mechaniker daheim nach seinem Rat, poste eine schnelle Instagramstory, ob irgendwer in meiner Bubble irgendwo im weiten Hinterland & Nirgendwo „in der Nähe von Marseille“ (optimistisch, Leona, optimistisch) vielleicht ein gebrauchtes Hinterrad zu finden weiß.

Zwischen Himmel & Hölle.

Helfende Hände

Und unglaublicherweise wie klein die Community ist, bekomme ich Hilfe: via Andy, der mir mich mit einem Kollegen aus Frankreich connected, der für mich die Kommunikation mit Fahrradläden (in der Umgebung (sprich: innert der nächsten 100 km) übernimmt. Und via Holger, einem Freund aus der Heimat, der tatsächlich noch ein Hinterrad über hat und mir senden möchte, sollte ich keinen Ersatz finden. Und ich finde keinen Ersatz. Und während ich auf 100 km über Asphalt eiere, um zum nächsten Fahrradladen zu kommen, sendet Holger mir per Express sein Hinterrad. Nur 48 h später kann ich weiterziehen. Ich bin so, so dankbar. Und weiß nicht, wie ich mich jemals revanchieren soll. Es dauert nicht lange, und das Hinterrad ist eingebaut, der Ruhetag effektiv genutzt und es wurde sogar noch eine Freundin & Kollegin getroffen, die in Frankreich gerade mit ihrem Van unterwegs ist (Danke von Herzen, dass Du mir auch noch meinen Kocher hinterher gefahren hast, Du Liebe – auch das werde ich Dir nie vergessen! :)).

Wie leicht kann das Leben sein? Wie schön kann es sein, wenn Menschen einem weiterhelfen? Verkorkste Situationen eine Lösung finden, ganz plötzlich, auch wenn man nicht damit rechnet? Wie schnell kann aus einem Tal ein Berg werden? Wie schön ist es, all diese Momente miteiander teilen zu können? Eins von allem zu werden?

Ich liebe es. Denn das ist das Leben.

To be continued.

Jetzt schon neugierig? Mein Abenteuer am European Divide Trail gibt es auch für „auf die Ohren“ & in einigen Podcasts, mit verschiedenen Schwerpunkten, zu hören:

Mit Christo Förster

Leona Kringe: Ein denkwürdiges Europa-Abenteuer – und viele Fragen

Mit Simon pa Tur

Leona Kringe – mit welchen Emotionen fährt man durch ganz Europa?

Mit Martin & Biketourglobal

European Divide Trail mit Leona

Schwarzwald Bikepacking GetTogether - gemeinsam einfach draußen sein!
Across Europe: Unterwegs auf dem European Divide Trail (I)

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