Von einem Mangel ohne Sein – wie wir werden, was wir sind.

 

 

Unser wirkliches Sein ist ohne Mangel. 

⌈Patanjalis Yogasutra⌉

 

Warum gehe ich dort raus? – Immer & immer wieder aus Neue? Was treibt mich dazu an, immer wieder neue Pfade zu erkunden und mich auf schon so altbekannten zu bewegen? Wieso begebe ich mich immer wieder in diese Einsamkeit & suche die Stille, die so unscheinbar und wenig hilfreich wirkt, in unserer so laut & schnelllebig gewordenen Welt?

Es ist zum einen eine Naturverbundenheit, die mich von Kindesbeinen an begleitet. Es ist ein tiefer Wunsch, jeden Tag dort draußen unterwegs zu sein, eine unstillbare Neugier und eine Freude daran, eben nicht dem Schema F und dem allgegenwärtigen Hamsterrad zu folgen und es anders zu machen. Es auf meine Art & Weise zu machen. Oder besser: auf meine Art und Weise zu leben.

 

 

Zum anderen ist es jedoch auch mein Dharma – das, was wir im Yoga als die Bestimmung unseres Seins bezeichnen. Man könnte es auch „Berufung“ nennen – und manchmal, wenn ich mal wieder einfach nur dort draußen unterwegs bin anstatt weiter wie mein Umfeld um mich herum im Hamsterrad zu treten, dann hilft mir dieser Begriff tatsächlich etwas dabei, mein Handeln & mein Tun, das Teilen all meiner Gedanken, mehr wertzuschätzen und ihnen wieder einen tieferen Sinn zu geben. Denn mit alledem was ich hier draußen tue – ich verdiene keinen Cent damit. Auch nicht über meinen Blog. Es gibt aktuell kein Sponsoring, keine Partnerschaften, keine „direkt messbaren Werte“. Und auch wenn es darum auch gar nicht geht – in einer Leistungsgesellschaft wie der heutigen ist es schwer, Dinge, die kein Geld oder keinen direkt messbaren Mehrwert verzeichnen, gleichermaßen anzuerkennen und sie auch wertzuschätzen. Insbesondere dann, wenn es darum geht, diese bei sich selbst zu sehen und sie hochzuhalten. Und wenn ich dieses Dharma teile – dann hoffe ich, Menschen damit zu erreichen, es mir „gleichzutun“ – nur dann eben auf ihre persönliche & individuelle Art und Weise. 

 

Im Draußen – und meinem liebsten Element.

 

Wer den ein oder anderen Podcast mit mir verfolgt hat, der weiß: mein Weg hierher war lang & hart für mich – und ist es oftmals immer noch. Sich gegen einen Strom aus Druck, aus Müssen und aus Funktionieren zu bewegen, kostet Kraft & Mut – konstant & permanent. Wie falsch habe ich mich anfangs gefühlt, wenn ich nach einer neu errungenen 4-Tage- Woche plötzlich schon freitags meine Freiheit & ein lang ersehntes langes Wochenende hatte. Ja – ich hatte plötzlich mehr Zeit, war scheinbar „frei“ – doch festgehalten in alten Strukturen, in festen Denkmustern und dem permanenten Druck, funktionieren und agieren zu müssen, war ich dies nur an der Oberfläche. Und längst nicht in mir drin – obwohl ich mir genau diese Freiheit doch so lang her ersehnt hatte. Ich brauchte Monate & Jahre, um mich aus diesem Muster selbst zu befreien.

 

 

Warum gehe ich nun also dort raus? Immer & immer wieder aufs Neue?

Indem wir alle Anspannung loslassen, können wir uns auf das Unendliche ausrichten.

⌈Patanjalis Yogasutra⌉

 

 

Ich habe mir Routinen geschaffen. Routinen, die erst neu und ungewohnt waren. Sehr ungewohnt. Routinen, die gar nicht mehr in all die alten Muster passten. Routinen, die mein Gehirn erst lernen durfte (und musste!) zu akzeptieren. Es ist neurologisch nachzuvollziehen, wie der Mensch im Auflösen alter Strukturen tickt und wie unser Gehirn hier gestrickt ist und funktioniert. Unsere Nervenbahnen sind so verknüpft, dass wir in unserem Automatismus gerne „backen“ bleiben, weil es uns vermeintlich Sicherheit schenkt, es uns wenig Anstrengung kostet, wir uns vermeintlich „wohlfühlen“ in dieser Bequemlichkeit. Daher Ja, –  es kostet teils immense Kraft, daraus dann auszubrechen. Natürlich mögen Teile dieses Automatismus sinnvoll sein – der Großteil davon ist es jedoch nicht, vor allem dann nicht, wenn es darum geht, endlich auszubrechen & sich weiter entwickeln zu können.

 

Neue Routinen – neue Kraftquellen – neue Lebenswege. 

 

Zwischen dem Punkt, an dem ich Nein zum Hamsterrad und Ja zum Leben gesagt habe, liegen nun gute 4 Jahre. 4 Jahre, bis ich bis das „geworden bin“, was ich nunmal heute bin. 

Und Ja, ich hadere immer noch oft damit, eben nicht mehr dem Schema F zu folgen. Nicht immer fühle ich mich nützlich, nicht immer bin ich mir sicher, dass es der richtige Weg sein wird, nicht immer weiß ich, ob ich so, wie ich handle, auch zum Ziel kommen werde. Doch eines weiß ich: Es ist besser als vorher. Lebenswerter. Es ist – immer noch – eine konstante und freie Weiterentwicklung und ein ständiges Weiter- und Dazulernen. Allen voran über mich selbst. Das Ziel ist nach wie vor die Befreiung – von allem Festhalten, von allem Anhaften. Nur so ist Weiterentwicklung möglich. Nur so ist Selbst-Erkenntnis machbar. Nur so können wir frei werden, unser Leben selbst zu gestalten.

 

Und genau daher ziehe ich auch raus: um dies immer wieder neu erfahren zu können. In der Stille & Einsamkeit. Mit dem Nichts zufrieden zu sein. Und am einfachsten gelingt es mir eben nach wie vor am Rad – im bewussten wenig Packen, im bewussten Loslassen und ins Ungewisse losziehen. Nichts anderes trainiert mich besser darin, alten Mustern nicht mehr anzuhaften, als mir abends den Ruck zu geben, meine sieben Sachen für den Start am nächsten Morgen ans Rad zu packen, ab ins Bett zu gehen und schlussendlich loszulassen. Nichts ist für mich eine wertvollere neue Routine geworden, als eben genau diese.

 

 

Loslassen im Kleinen – & im Großen. Hauptsache – immer im Draußen. 

 

Unser wirkliches Sein ist ohne Mangel.

⌈Patanjalis Yogasutra⌉

 

In den yogischen Schriften des Patanjali steht, dass der Körper uns im Weg sein kann, wenn wir in die Stille wollen. Und daran ist für mich persönlich sehr viel Wahres dran. Denn oftmals war es meine innere Unruhe, mein permanenter Drang nach Bewegung, mein konstantes Agieren-wollen, die mich davon abgehalten haben, zur Ruhe & zur Stille zu kommen. Mein pulsierendes Selbst, jedoch auch meine vergangene Essstörung und die Überbleibsel ihres zwanghaften Denkens waren mir hier schlichtweg oft im Weg – und permanent nur unterwegs & in Bewegung zu sein, war eben auch nicht immer der richtige, vollkommene Weg. Und dennoch – brauchte ich ihn initial immer wieder, um irgendwie den Weg zu finden – hin zur Stille. Erst durch mehrere Knochenfrakturen in Folge lernte ich, auch ohne eine zu krasse Bewegung mal zur Ruhe, zur Stille zu kommen. Ich wurde hier gezwungen, meine so festgefahrenen Muster abrupt zu ändern und sie loszulassen. Was ganz bestimmt nicht einfach, jedoch zum „Überleben“ der einzig richtige Weg war, den es zu gehen galt. Denn nichts bringt uns weiter weg von uns selbst, wie eine konstante Rastlosigkeit – und ich kannte diese eben nur viel zu gut.

 

Zurück in die Stille – durch das Extreme. Wie hier in Frankreich & der #connectingthedots – Traversée. 

 

Zurück also zu dem, was mich rauszieht. Und was mich dort draußen einfach immer wieder aufs Neue trägt. Die Natur – sie hinterfragt uns nicht. Sie lässt uns einfach sein, mit dem, was wir haben und dem, was wir eben sind. Ich sehe hier ein echtes Spiegelbild, ich sehe nur grün, nur weiß, ich rieche, ich fühle, ich schmecke – nur das, was wirklich ist. Und nichts bringt mich wieder mehr zurück zu mir selbst als eben genau diese Dinge, diese kleinen Rituale, diese Stille, dieses Wenige.

 

Wir dressieren unseren Affengeist mit Liebe – nicht mit Bestrafung.

⌈Patanjalis Yogasutra/Ralph Skuban⌉

 

Es ist eine – meine – Form der Meditation geworden, die mir auf diese Weise leichter fällt, als im Stillen niederzusitzen und die Gedanken versuchen ziehen zu lassen. Es ist zusätzlich eine Haltung von mir geworden – eine Haltung gegenüber einer Welt, die uns zu immer, schneller, höher, weiter antreibt, die uns kaum mal sein lässt und die uns unsere Muster & Strukturen doch erst so anerzieht. Und bei allen Träumen und Visionen, die ich noch habe, weiß ich eines: solange ich mich inmitten einem Alltag in dieser Umwelt befinde, wird es ein ewiges bewusstes Ja sagen zum Anderssein und Andershandeln sein. Und gerade – ist es gut so, wie es ist. Denn auch mein Alltag erfüllt mich und gibt mir etwas zurück – und dennoch, hält er mich auch fest. Und immer ein Stück weit fern – von dem, was ich das echte Leben, mein Dharma nenne.

Schenkt euch den Mut, euch gut um euren Affengeist zu kümmern. Euch Stille zu gewähren, zur Ruhe kommen zu lassen. Insbesondere in einer Zeit wie dieser, in der nichts wichtiger ist, als sich selbst & seine Liebe fürs Leben nicht zu verlieren. Es ist eine Reise im Leben – & sie darf schön sein. Und auch mal unrund laufen, nicht nur linear, auch im Zickzack & mal ein holpriges Auf und ein Ab sein.

 

Sie darf sein. Sie darf alles sein. & sie muss nur eines: die Deine sein. 

 

 

The trust in more of the less - von einem Mehr vom Weniger.
Across no borders - GST part #2 - the point of no return.

2 Kommentare bei „Von einem Mangel ohne Sein – wie wir werden, was wir sind.“

  1. Hallo, ich kann das wunderbar nachvollziehen, was du so schreibst. Auch ich bewege mich viel in der Natur, meist jedoch zu Fuß. In kleineren und kürzeren Besuchen in der Natur. Oder eben auch mal mit dem Mountainbike. Dies in letzter Zeit mal wieder des öfteren. Doch zieht es mich immer und immer mehr auf eine Runde über Tage oder Wochen. Möchte gern mit mir allein sein, mich erfahren und endlich (mit 56 Jahren) mal richtig kennen lernen. Zudem erinnert mich alles was du schreibst an Lieder von Thomm, die CD heißt „V=s:T und ich zitiere hier mal ein Ausschnitt aus dem Text dann versteht man den Zusammenhang besser.
    „V=S/T mein Freund, hart am Wind entlang geträumt. Heimgehen braucht weg gehen, Geschwindigkeit ist Weg durch Zeit, der offene Horizont befreit. Heimgehen brauch weg gehen um zu verstehen.“
    Es ist sehr schön, und ich freue mich für dich und mit dir (obwohl wir uns gar nicht kennen) dass dir das alles gelungen ist. Du bist auf deinem Weg, bleibe ihm treu. Egal was andere dir sagen. Ich habe meinen noch nicht gefunden. Wusste nicht, wie lange ein Weg sein kann, bis man bereit ist, den eigenen zu finden und dann auch noch zu gehen. Dort wo du bereits in der Sonne stehst, sehe ich ein verschwommenes Licht spüre aber dass es schon wärmt, wie die Sonne, die plötzlich durch die Wolken bricht und dir wärmend auf den Rücken scheint.

    1. Hallo Wolfgang,
      Hab vielen Dank für dieses Feedback – ich freue mich, dass Du auch diesen Artikel gelesen hast und freue mich sehr über dein Kommentar! Und wie Recht Du hast und wie passend der Ausschnitt aus dem Lied ist. Hab vielen vielen Dank dafür! Genauso ist es tatsächlich – so schwer dieses „Weggehen“ auch sein mag oder – wie auch immer es konkret aussehen mag. Denn manchmal reichen tatsächlich auch nur ein paar Tage, um mal fort zu sein. Schon nach wenigen Stunden kann es einem schon gelingen, weit fort von allem Alltag und alten Strukturen zu sein. Sofern man will & sich darauf einlässt.
      Dieses wärmende Licht – ich habe es immer empfunden wie einen Keim in mir, der irgendwann „gepflanzt wurde“ und um den ich mich kümmern musste, wenn er zu dem Werden soll, was ich mir wirklich wünsche. Aber Ja, auch dazu braucht es eine ordentliche Portion Licht – also ergänzt sich das doch auch ganz gut 🙂
      Gib gut Acht auf diese Entwicklung – ich freue mich wirklich sehr für Dich, dass Du dies so empfindest! Auch, wenn ich Dich nicht kenne! 🙂
      Viele herzliche Grüße aus Freiburg!
      Leona

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