Unterwegs – & die Heimat in mir.

Es ist Dokument Nr. 22, das ich gerade auf meinem Laptop öffne und vielleicht ist es jenes, das es heute doch noch schafft, veröffentlicht zu werden. Noch nie fiel es mir so schwer, im Schreiben einen Anfang zu finden oder ein Ende hinzubekommen. Noch nie hatte ich so viele neue Beiträge offen, von denen mich doch keiner in meinen kreativen Flow zurückbringen vermochte. Eine erste Reflektion über mein Abenteuer, meine Bikepacking Reise, dem Unterwegs sein auf dem European Divide Trail? Sie liegt noch gefühlt Lichtjahre von mir entfernt – vielleicht dort draußen, irgendwo, bestimmt für einen kalten, grauen, stürmischen Winterabend, nach einer weiteren Bikepacking Tour mit einem heißen dampfenden Tee vor der Nase. Vielleicht für jenen Moment, in dem ich die gesamte Reise von unterwegs überhaupt erst in Worte fassen kann. 

 

Das Ende eines langen Bikepacking-Sommers

Es ist Herbst, jetzt. Und der hinter mir liegende Sommer war lang, so lang. Er begann für mich bereits im Mai. Zu dem Zeitpunkt, an dem ich die Räder meines Beyond über die sandigen Trails des European Divide Trails weg vom Cabo de Sao Vincente in Portugal und hin zum äußersten Punkt im Norden, der Grense Jakobselv, zu bewegen beginnen sollte. Er begann mit zwei Monaten Bikepacking – purer Freiheit und einem Loslassen, wie ich es vorher noch nie gekonnt hatte.

Der Sommer war lang, bis jetzt – jetzt und hier, zurück in Freiburg, wo der Herbst mit leisen wie auch lauten, regnerischen Tönen Einzug hält und die scheinbare Unendlichkeit dieses Sommers unterbricht. 

 

Endlich Regen, Regen. Endlich mehr zur Ruhe kommen. Zur Ruhe kommen. Zur Ruhe kommen?

 

Der Sommer war so lang, dass ich das Gefühl habe, währenddessen in Teilen ein anderer Mensch geworden zu sein und dennoch irgendwie nicht voran gekommen zu sein. Ich fühle mich verändert und gleichzeitig ohne meine Bikepacking Touren so „stucked“ wie nie zuvor. 

Ich habe mit meinem Beyond & dem nötigsten, was ich brauchte, einmal Europa durchquert, von Süd nach Nord, mich 7600km voll europäischer Wildnis & Einsamkeit als mich auch meinen tiefsten Tälern, jedoch auch Stärken gestellt und habe so viel daraus mitgenommen und gelernt und dennoch, stehe auch ich gerade hier und weiß vielleicht nicht so richtig weiter.

 

Zurück im Herbst – nach einem langen Sommer.

 

Losziehen & Unterwegs sein um des Lebens willens

Ich bin nicht losgezogen, um auf der Suche nach etwas zu sein, auch nicht, um von Dingen loszulassen. Und dennoch habe ich Dinge gefunden und ebenso losgelassen. Zwei Monate sind viel Zeit, um sich zu verlieren und wieder neu zu finden – wenn man sich traut, die Segel zu setzen und alles andere ziehen zu lassen. 

 

Zwei Monate sind viel Zeit – und sind doch irgendwie nur ein Wimpernschlag.

 

Während ich beim Bikepacking für diese zwei Monate lang jeden Tag einen neuen Ort mein „Zuhause“ nennen konnte, ist es nun, zurück in Freiburg, etwas komplett anderes. Und ich fühle, dass ich dafür vielleicht einfach nicht gemacht bin – dass das Heimatnomadische in mir an mir zerrt und zetert und fragt, warum wir nicht wieder nur einfach unterwegs sind. Ich fühle, dass eine kreative Ader in mir das Unterwegssein braucht, um sprühen, um überleben zu können, um nicht zu versiegen. Ich fühle jedoch auch, dass, wenn ich meine Träume verfolgen möchte, langfristig auch meine Wurzeln schlagen sollte, um mir diese zu erfüllen. 

Ein Freund sagte auf einen meiner vergangenen Post bei Instagram, in dem es um meine Gedanken um „Zuhause“ ging, dass ich scheinbar nicht wüsste, was ich will. Ich fühlte mich ziemlich getroffen und wollte zunächst dagegen demonstrieren – immerhin weiß ich seit ich klein bin sehr genau, was ich will. Ich habe meine genaue Vorstellung von dem, wie ich mein Leben noch gestalten möchte – und es ist das, was mich gerade so um- und antreibt in all meinen Gedanken rund um „Heimat“. Und dennoch, zugegeben vielleicht weiß ich es dann doch wieder nicht – zumindest nicht zu 100% und vielleicht, vielleicht, ist das, ohne die Perfektionistin in mir, wiederum auch ganz okay. 

 

Das Unterwegs sein macht mich frei

Fakt ist: das Unterwegs sein, egal ob Bikepacking oder nicht, es nährt meine Seele. Es gibt kaum etwas, wo ich so sehr bei mir selbst bin wie dort. Es gibt kaum einen Morgen, an dem ich so gespannt auf den neu beginnenden Tag bin, wie dort draußen unterwegs. Es gibt kaum einen Tag, an dem ich mit so wenig Selbstzweifeln belastet bin, wie dort draußen unterwegs. 

Unterwegs zu sein bedeutet für mich ein konstantes Loslassen, neu finden, sich neu einstellen, entdecken, Erfahrungen sammeln. Dinge, die mich immer wieder am Leben erhalten. Bei diesem Unterwegssein ist es mir mittlerweile egal geworden, ob ich nun nur mit dem Rad unterwegs bin oder mit dem Bulli reise und beide Arten miteinander kombiniere  – ich liebe beide Varianten und kann sie (mittlerweile) beide schätzen.

 

Unterwegs & in den Bergen zuhause sein.

 

In den Bergen zuhause – egal ob Bikepacking oder nicht.

Seit ich nach der Tour auf dem European Divide Trail wieder zurück in Freiburg bin, hat es mich doch immer wieder für die vergangenen Wochenenden raus gezogen: auf Bikepackingtour in die Vogesen, sowie in die Schweizer & französischen Voralpen und mit dem Bulli für eine Workation ins Allgäu. Alle drei Ausflüge (& Ausbrüche) aus meinem doch wieder sehr „geregelten“ Alltag waren eher sehr spontan (teils innert Stunden) geplant und ich zehre an diesem Wochenende, an dem ich jetzt doch mal sesshaft in Freiburg und nicht unterwegs bin, sehr davon, während ich mich nicht so richtig „richtig“ am Platz hier fühle. 

 

Es sind jene Wochenenden, an denen ich weiß & spüre, warum ich bin. Es sind jene Momente, in denen ich weiß & spüre, dass es okay ist, wenn ich einfach nur sein darf. Es sind jene Momente, in denen ich mich loslassen kann. 

 

Mit jeder Tour habe ich mir ebenso meine mentale & körperliche Stärke zurück geholt – meinen inneren Kritikern den Kampf angesagt. Denn warum auch immer, nach dem European Divide Trail waren diese teilweise lauter als je zuvor – ich hatte zu schaffen mit einer Gewichtszunahme während der Reise, mit der ich nicht gerechnet hatte und die mich tief an mir und meiner Leistung zweifeln ließ. Wer war ich und was hatte ich falsch gemacht, dass ich trotz der Bewältigung von 7600 km aus eigener Kraft auch noch zugenommen hatte? Mein altes essgestörtes Ich wurde plötzlich wieder sehr, sehr laut und meine Stärke in mir sehr leise in mir drin. Das war nicht das, womit ich gerechnet hatte. Doch jetzt, jetzt musste ich mich dem stellen. Denn es gibt für mich kein Zurück mehr in die Magersucht, niemals mehr.   

An dieser Stelle ein Gedicht – das innere Tauziehen – entnommen aus meinem noch nicht veröffentlichten Buch „Ein Apfelbaum voll Freiheit in mir“, erzählend meine Geschichte, raus aus der Essstörung und rein ins Leben: 

 

Tausend Gedanken 

werden langsam zu Einem –

tausend Zweifel 

gelangen endlich zur Stille.

Tausend Ängste 

werden langsam wieder klein –

& tausend Herzensräume 

für die eigenen Lebenspfade 

werden endlich wieder frei.

Es war 

ein inneres Tauziehen, 

ein Hin und Her, 

ein Her und Hin 

– und letztendlich 

habe ich die Heilung gewinnen lassen. 

Mich Mensch sein lassen, 

mich ohne Druck meinem Leben hingegeben, 

mir Raum geschaffen für die Dinge, die dort endlich hochkommen wollten. 

Es war ein inneres Tauziehen 

– und wurde dann ein Ziehen an einem Strang.

 

 

Unterwegs zurück zum Wesenskern finden

Das brachte mich wieder ein Stück weiter, machte mich noch freier, brachte mich weiter hin zu dem Wesenskern, der ich bin. Ich wollte nicht zurück in ein Muster, wollte weiter loslassen, von Dingen, Mustern & Verhaltensweisen, die mich immer noch aufgehalten haben. Mit diesem Willen kamen neue Fragen auf: Lebe ich zu wenig? Lebe ich nicht aus vollstem Herzen, frei genug? Lebe ich an mir vorbei?

Die Angst vor der Antwort auf diese Fragen – ich glaube, manchmal lähmt sie mich. Hindert mich, dann einfach loszuziehen, es einfach zu machen, dem zu folgen, was mein Herz mir sagt. Mit jeder noch so kleinen Tour jedoch, wird mein Herz dann spielerisch wieder ein Stück freier, trage ich die Freiheit in mir drin nach außen – und bin dankbar, dass es schlussendlich doch irgendwie so einfach ist. 

 

Manchmal – vergesse ich auch das nur zu schnell immer wieder. 

 

Draußen unterwegs das Leben gestalten

Mich treibt meine Neugierde immer noch weiter an, nach dem European Divide Trail vielleicht stärker als je zuvor. Auch im Alltag. Was hält mein Leben noch für mich bereit? Wie kann ich meine Gedanken teilen? Was erwartet mich noch? Wie möchte ich leben? Was fehlt mir gerade und was brauche ich? 

Gerade merke ich: mir fehlt die Natur im Leben. Die Verbundenheit mit etwas, mit den Elementen, den Tieren, dem direkten Kontakt zum Sein & meiner Umwelt. Mein Job ist zu 100% digital – zwar habe ich jeden Tag Kontakt zu Menschen, baue Beziehungen auf, pflege sie, kümmere mich, bin voll präsent und mag meine Arbeit – doch all das, findet nur am Laptop statt. Das macht mich einerseits frei – denn ich kann arbeiten von wo aus ich will. Doch es macht auch etwas mit mir und es löst einen Mangel aus. Den Mangel an echten Beziehungen – denn ich bin ein Mensch, der Nähe braucht, um Distanzen zu überwinden. Nicht ganz einfach, dies in einem digitalen Arbeitskontext zu bewältigen. 

Unterwegs merke ich, was ich brauche, was ich gerade wirklich will – ich mag die Einfachheit dort draußen, das nicht wissen, was abends noch passieren wird. Ich gestalte jede Minute neu, jede Sekunde anders, erfahre Regionen auf eine neue Art & Weise. Dort draußen ist es wie ein Flow – etwas, das mich am Leben hält. Mir den Sinn dafür gibt.

 

Soulmoments unterwegs. 

 

Ist unterwegs zuhause?

Ich glaube nicht, dass nur das pure Unterwegs sein mein Zuhause ist & dennoch: ich brauche es. Was gerade zuhause ist, weiß ich also nicht – zumindest nicht, wie viel Anteil ich von unterwegs & sesshaft wirklich brauche. Ist es ein zu viel oder ein zu wenig? Was gibt mir Kraft statt mich auszubrennen?
Es sind Fragen, die mich wohl in den weiteren Monaten beschäftigen werden, allen weiteren Gedanken zum Trotz. Doch eines ist sicher: eine Heimat, die es schon gibt, die kann mir niemand nehmen: es ist meine eigene Heimat, die ich ganz tief, dort in mir drin, dann selbst schon irgendwie dort draußen unterwegs gefunden habe.

 

 

 

 

Across Europe: Unterwegs auf dem European Divide Trail (I)
Liebe Deine Reise & Dein Abenteuer!

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