„Und zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf.“
Es gibt Tage wie diesen, da fühle ich mich wie so ein Lachs.
Ein Lachs, der für sein Ziel und seiner intuitiven Eingebung folgend gegen den Strom schwimmt, sich bergwärts vorwärts kämpft und alle Anstrengungen auf sich nimmt um nicht von seinem Weg abzukommen.
Der das Risiko in Kauf nimmt, unterwegs auf seiner Reise von gierigen Bären, die am Flussufer lauern gefressen zu werden. Einfach verschluckt zu werden an entscheidenden Stufen und Wellen, wo der Energieaufwand zum weiterkommen am größten ist.
Dieser Gedanke mit dem Lachsvergleich kam mir schon vor einer Woche, als ich das dazu gehörende Lied von Thees Ulmann zum ersten Mal seit längerem auf der Fahrt zum Arbeiten nach Hannover gehört hatte und ich sowieso mit allen möglichen melancholischen und nostalgischen Gedanken und Gefühlen konfrontiert wurde, denn ich war lange nicht in dieser Stadt, in der so lange studiert und viele gute aber auch harte Zeiten erlebt habe.
Seit dem Wochenende des Fernwandercamps (siehe hier) vor einigen Wochen fühle ich mich nur noch mehr bestätigt in dem was ich mache und vorhabe. Ich hatte das Glück viele inspirierende und bewundernswerte Menschen kennenlernen zu dürfen und habe viel von diesem Wochenende mitgenommen. Allen voran eine Erkenntnis: Dass es genau das Richtige ist, seinen eigenen Weg zu gehen und sein Ding zu machen. Egal was andere davon denken oder ob es für für diese utopisch und unmöglich klingen mag.
Aber auch, dass Besitz und das Festhalten an alten Strukturen und Denkweisen einen auf Dauer klein hält. Dass freie Entfaltung erst durch initiales Loslassen möglich wird.
Weite und Freiheit – Pure Glückseligkeit die mir keine materielle Sache der Welt geben kann.
Es tat so gut mit Menschen zu reden, die bestimmte Teile meiner Träume schon quasi „abgehakt“ haben. Dazu gehören zum Einen diverse Fernwanderwege aber auch Entscheidungen wie beispielsweise ein Leben jenseits des Hamsterrads zu führen. Es hat mir gezeigt dass es nicht unmöglich ist oder gar nur ein Hirngespinst sich sein Leben so zu gestalten wie man es wirklich möchte.
Im Gegenteil – es ist ein realistischer und lebenswerter Traum.
Dieser mag zwar nicht dem Schema F der Gesellschaft entsprechen, ist deswegen aber keineswegs weniger wertvoll.
Am Ende des Tages kamen wir meist alle zusammen zu demselben Schluss: Dass man so viele Träume und Wünsche hat und genau weiß was einen zutiefst glücklich macht. Dass man sich tagtäglich mindestens einmal in Gedanken ganz woanders hinwünscht und man vielleicht auch weiß dass man genau dort viel glücklicher wäre – dass man nicht genau dort ist wo man wirklich hingehört.
Natur, Bewegung, frische Luft – tägliche Tagträume.
Und dass man aber gleichzeitig gefangen ist im Job, der mindestens 5-Tage-Woche, den Verpflichtungen, Rechnungen, Krediten, Verträgen. Dass 25 Tage Urlaub im Jahr sowieso nie reichen all seine Träume umzusetzen und zu verwirklichen.
Da beglückwünscht man all diejenigen, die im Job und mit ihrer Arbeit ihre persönliche Erfüllung gefunden haben und die nicht erst auf den Feierabend oder den Urlaub warten müssen um endlich ihr „richtiges“ Leben zu leben.
Doch wieso verharren alle anderen so lange in einer Situation, die sie davon abhält wirklich der inneren Stimme zu folgen?
Die Antwort ist relativ simpel.
Weil es anstrengend ist. Es Energie, Zeit und Nerven kostet. Man immer wieder für diesen Traum kämpfen muss, auch wenn es Leerlauf, Stillstand und schwierige Zeiten gibt, in denen man lieber wieder den leichten Weg gehen würde: bequem und vermeintlich in Sicherheit.
Man muss sich mit Menschen konfrontieren die nichts von diesem Weg halten und versuchen einen in Schach zu halten. Das ist vor allem dann belastend wenn es Menschen im engen Umfeld sind.
Das alles ist unangenehm und der Mensch geht naturgemäß instinktiv unangenehmen Dingen lieber aus dem Weg.
Damit riskieren wir aber an unserem eigenen Leben vorbei zu leben und es zu verpassen.
Dein Leben passiert wenn du es angehst – vorangehst, Schritt für Schritt, immer mit deinem Ziel vor Augen.
Es braucht also Mut und Kraft um gegen den Strom zu schwimmen und es braucht auch die richtigen Menschen die einen umgeben damit man auf seinem Weg nicht untergeht oder sich einfach entkräftet zurückfallen lässt statt weiterzumachen.
Die letzte Zeit hat mich einiges gelehrt und ich bin so dankbar für all die Menschen die ich in der kurzen Zeit kennenlernen durfte und die mir so viele bestätigende und inspirierende Erfahrungen mit auf den Weg gegebenen haben.
Sie alle haben mir gezeigt dass es das einzig richtige ist an sich zu glauben und auf sein Bauchgefühl zu hören. Dass sich der Weg dann schon finden wird und die Dinge sich eines Tages automatisch fügen.
Witzigerweise sind das eigentlich genau die Dinge, die ich schon während meinen extremen Radtouren immer wieder lernen konnte: Dass immer wenn die Situation scheinbar am aussichtslosesten war und man am Ende seiner Kräfte zu sein schien, das Blatt sich plötzlich zum Guten gewendet hat. Sei es durch helfende Hände liebenswerter Menschen oder sich fügenden Gegebenheiten der Natur – es gab immer einen Punkt an dem es eine Kehrtwende und somit ein Aufatmen gab. Es sind diese Extremsituationen in denen man wirklich lebt und die einen prägen, in denen man sich weiterentwickeln kann.
Und gleichzeitig wurde es letztenendes immer ganz anders als man sich alles vorgestellt hat. Man muss nur die Dinge aus der Hand lassen und darauf vertrauen dass alles gut wird.
Es fühlt sich dann an wie Karma.
Wenn das was man ist, auch wird – solange man es nur zulässt.
Immer weiter – auch wenn der Weg schier endlos erscheint.
Es ist derzeit ungewohnt, mein gesamtes Leben nach dieser Richtung zu gestalten und diese Sichtweise nicht nur auf meinen langen Radtouren oder anderen Abenteuern umzusetzen sondern auf alle Bereiche auszuweiten.
Plötzlich ist dieser Zustand nicht mehr zeitlich nur auf eine Tour, einen weiteren Pass oder eine Kilometerangabe beschränkt sondern ist alltäglich und in jeder Sekunde präsent.
Das ist neu für mich und noch kann ich diesen Zustand nicht vollständig genießen und ihn für mich effektiv nutzen. Die Freiheit ist schon so greifbar aber doch noch so fern – denn alles was noch nötig ist um endlich wirklich weiter meinen Weg zu gehen ist die Beendigung der Doktorarbeit. Eine Sache, die nervenaufreibend ist und Zeit kostet. Zeit, in der man so abhängig ist von Betreuern, Gutachtern, Gesetzen und Regeln. Zeit, in in der man in der letzten Instanz noch Teil eines Systems ist dem man eigentlich erstmal Lebewohl sagen möchte.
Da hilft nur eins. Kopf ins Wasser und weiterschwimmen. Etappenweise. Bis zur nächsten Welle, der nächsten Stufe, mutig voranspringen und allen Gefahren bis auf weiteres trotzen. Das Ziel vor Augen nicht verlieren. Zwischendurch aufatmen in der Natur, sich den Kopf freimachen.
Denn spätestens an dem Tag, an dem ich, wenn ich aufwache und die Augen öffne, die ersten Sonnenstrahlen sehe die sich durch meine Zeltwand mogeln und ich nur den Reissverschluss meiner Apside öffnen muss um raus in die Natur zu fallen, mir dort draußen den ersten Kaffee koche und in voller Vorfreude auf den kommenden Tag meine Sachen zum weiterziehen packe – dann weiß ich wofür sich alle Mühen, Krisen und Anstrengungen gelohnt haben.
Friluftsliv – es dauert nicht mehr lang.