Vom Hunger nach Freiheit.

 

„Wenn die Person still ist, kann dein höheres Selbst sprechen.“ (E. Haich)

 

Ich lasse meine Gedanken schweifen. Ich sitze müde, ausgelaugt und matt am Küchentisch,  werde übermannt von dem drängenden Gefühl im Bauch so nicht weitermachen zu können. Es ist Sommer 2011, ich stecke mitten im Physikum. Erst zwei Jahre meines insgesamt fünfeinhalb Jahre langen Studiums sind um und ich will nur eins: frei sein.

Mir klar darüber werden was ich wirklich will im Leben, mir klar werden ob ich mich wirklich auf dem für mich richtigen Weg befinde.

Meine Gedanken ziehen weiter. Weiter ins Frühjahr 2015. Ich sitze am Schreibtisch, der Kopf ist voll, vollgedröhnt mit einem Haufen Lernstoff. Ich stecke mitten im Staatsexamen, habe weitere 3,5 Jahre Studium einfach durchgezogen, das Bauchgefühl verdrängt, mich diszipliniert dazu gebracht weiterzumachen, nicht auszusetzen, den Weg weiter zu gehen. Vernunftentscheidungen.

Herz aus, Kopf an. Wird schon werden.

Herbst 2017. Nach 2,5 Jahren Festanstellung sitze ich am Schreibtisch, versuche meine Doktorarbeit fertig zu bekommen um – endlich, endlich – frei zu sein.

Es wird so dermaßen Zeit aufzubrechen dass ich das Gefühl jeden Tag greifen kann – bzw. es jeden Tag nach mir greift, mich beherrscht, mich einnimmt.

Alles was mir derzeit Halt und Ruhe gibt ist das wunderbare Gefühl der Heimat, in die ich für das Ende der Doktorarbeit zurückgekehrt bin und in der ich endlich die Stille und den Boden unter den Füßen finde um dieses Projekt so bald wie abschließen zu können.

 

 

Man könnte meinen dass jetzt ein guter  Zeitpunkt wäre um verrückt zu werden, denn das Leben schlägt so seine Kapriolen:

Job gekündigt, unbezahlten Doktorandenstatus eingenommen. Minimale Ersparnisse, minimales Leben. Ein Bulli der einem jederzeit wieder die Haare vom Kopf fressen kann. Kein geregelter Alltag mehr, kein festes Einkommen. Jeden Tag aufs Neue gestalten, mich weiter an den Schreibtisch klemmen. Vielleicht Existenzängste.

 

 

Auf der anderen Seite ist da aber plötzlich ein Gefühl von Freiheit. Selbstbestimmtheit. Einer Ahnung davon wie es sein kann. Es gibt Zeit zum Runterkommen. Das erste Mal seit Beginn des Studiums bin ich raus aus dem Hamsterrad gesprungen – und habe dem ewigen „einfach durchziehen“ und „durchbeißen bis..“ ein Ende gesetzt.

Es gibt jetzt – neben der Doktorarbeit – Raum für Zeit, der in jeder Sekunde aktiv mit dem gefüllt werden kann was mich wirklich nährt, meiner Seele wirklich Kraft und Energie schenkt.

 

 

Und diese Kraft finde ich – und das bestätigt nur meine Erfahrungen der letzten Jahre – immer wieder in der Natur. Sei es beim Laufen, beim Radfahren oder am Pferd, draußen bin ich immer wieder bei mir. Bin ruhig, angekommen und frei. So frei, dass alles andere so nichtig erscheint.

Das Leben ist so simpel und wir brauchen so verdammt wenig. Wie viele Dinge habe ich mir sinnloserweise angeschafft in den letzten beiden Jahren. Wie viele davon fühlen sich jetzt an wie reine Lückenfüller.

Lückenfüller für den Hunger nach Freiheit. Dem Hunger nach echter Selbstverwirklichung.

 

 

Übersatt vom Streben nach Feierabend und dem Hinarbeiten auf das nächste noch zwei Wochen entfernte freie Wochenende habe ich diesen Hunger mehr und mehr durch Konsum und extremen Plänen gestillt.

Ich habe nicht auf großem Fuß gelebt, aber trotzdem – im Nachhinein war selbst dieses Maß zu viel.

Reduzieren, entschleunigen. Minimalistisch werden, aufs Wesentliche konzentrieren. Den eigenen Rhythmus wiederfinden. Kreativ werden, sich nach dem eigentlichen Sinn richten.

Derzeit gebe ich mein Leben in die Hände des Schicksals. Ich lasse es teils einfach passieren, lasse die Dinge auf mich zukommen und nehme mein Bauchgefühl als Kompass. Meine Intuition wird mein Wegweiser und ich halte inne wenn ich merke dass mir etwas missfällt, mich etwas einengt.

Ich gebe endlich – und das wahrscheinlich zum ersten Mal bewusst in meinem Leben – auf mich Acht.

Gebe Acht dass ich nicht mehr von meinem Weg abkomme und mich richtig leiten lasse, fernab von allen Vernunftentscheidungen und fernab von dem, was andere meinen was richtig und gut für mich wäre.

 

 

Denn am Ende des Tages bist du dir selbst der Nächste – es ist allein dein Leben das du lebst und bestimmst. Und dein Leben wird dir immer nur so sinnvoll vorkommen wie du es lebst. Und es gibt keinen Grund wieso du es nicht in jeder Sekunde nach deinem freien Willen gestalten solltest.

Koste es was es wolle. Auch wenn es dein letztes Hemd ist.

 

Gegen den Strom.
Lebenswege - Das Leben ist eine Reise.

2 Kommentare bei „Vom Hunger nach Freiheit.“

  1. Schön. Uns so wahr.
    Grüße
    Andreas

  2. Schön geschrieben! Ich bin auch seit einigen Jahren am reduzieren und minimalisieren (materiell), allerdings kaum am entschleunigen. Dafür mache ich die Dinge, die ich mache, zu gerne!

    LG
    Chris

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