Belchen satt 2016.

Belchensatt 2016.

Oder: Schlafend radeln.

Um das „Projekt Belchensatt“ zu beschreiben, bedarf es einer kurzen Einführung bei der ich doch etwas weiter ausholen muss. Nachdem ich schon 2 Jahre im Rennradsattel zugebracht und mit der Zeit immer mehr Gefallen an langen Bergtouren gefunden hatte, kam ich während meines praktischen Jahres im Rahmen des Studiums nach Freiburg. Dort nutzte ich jedes freie Wochenende und jeden Feierabend um den Schwarzwald und die Vogesen mit dem Rennrad zu erkunden. Touren von 150, 200 km und 2000 bis 3000 Hm wurden plötzlich zum Normalen und ich hatte endlich meine Leidenschaft gefunden: die bergige Langstrecke. 

Dadurch kam ich durch Internetrecherchen auf die ARA Breisgau – Audax Randonneurs Allemagne Breisgau – die als private Initiative Langstreckentouren von 200 – 600 km organisiert und genau meine Leidenschaft lebt und vertritt. Diese verrückten, radliebenden Menschen haben unter anderem auch einen Superbrevet „im Angebot“ der genau in mein Muster fällt: Lang, bergig, auf eigene Faust und so minimalistisch wie möglich, frei von jeglicher Unterstützung. Dieser Superbrevet „Belchensatt“ geht auf rund 600 km und 12.000 Hm über die schönsten Berge des Schwarzwaldes, des Schweizer Jura und der französischen Vogesen. Die Bedingung für eine erfolgreiche Teilnahme: das Ganze komplett am Stück zu fahren und es möglichst in unter 54 h zu schaffen.

Das bedeutet: Radeln was das Zeug hält und das auch nachts. Müde Beine werden wach geradelt, müde Köpfe in kurzen Powernaps wieder frisch gemacht. Den Nachweis dass man wirklich die Tour geschafft hat bringt man durch eine Stempelkarte und Fotos, die man an vorgegebenen Orten machen muss.

Soweit so gut. Schon in 2014 wollte ich diesen Brevet fahren – musste aber feststellen dass ich quasi zu spät dran und meine Anmeldung zu knapp war, in der Zeit wäre ich schon nicht mehr in Freiburg gewesen. Also versuchte ich die Tour erstmal „inoffiziell“, also nur für mich als Wochenendtour zu fahren. Diese Tour für sich war schon Wahnsinn genug – diese hier noch detaillierter zu beschreiben würde den Rahmen sprengen, vielleicht schaffe ich es in einem separaten Beitrag davon zu erzählen.

Losgelassen hat mich dieser Brevet also nie – es hat mal wieder gejuckt und was juckt muss geheilt werden. Und das so schnell wie möglich. Tierarztdenken eben.

So kam es dann dass ich letztes Jahr endlich die Möglichkeit dazu hatte den Brevet endlich offiziell zu versuchen. Ich lebe jetzt aus beruflichen Gründen seit gut 2 Jahren am Fuße des Schwarzwaldes und das muss natürlich auch so gut es geht genutzt werden. Relativ spät im letzten Jahr kam mir dann wieder dieser Brevet in den Sinn. Ein endlich mal wieder freies und vor allem langes Wochenende im Oktober hielt ich mich dafür parat und meldete mich kurzerhand an. Der Gedanke an eigentlich schon zu kalte und lange Nächte verdrängte ich mehr oder minder erfolgreich – ich muss gestehen dass ich vorher jede Nacht vom Schlafen und Leiden in der Kälte träumen musste. Umso schöner war es vorher (und vor allem nachher!) im eigenen, warmen Bett.

Da die ganze Idee mal wieder kurz auf knapp geplant war – wobei Planung bei mir auch immer irgendwie relativ ist, denn alleine durch den Stress und den Notdienst auf der Arbeit kam ich vorher gerade mal dazu mir die Karten mit der Route zu markieren – musste natürlich auch noch schnellstmöglich fehlendes Equipment besorgt werden. Allen voran der schon lang ersehnte Nabendynamo – denn gute 10 h in der Nacht durchfahren und das 2 Nächte am Stück würde meine Lupine-Akkulampe niemals bringen. Und anhalten um das Akku zu laden – unmöglich.

Das Thema Nabendynamo und passende Lampe sollte sich noch als ziemliches Dilemma gestalten: Erst kam die falsche Lampe, dann die richtige. Mit der richtigen Lampe kamen falsche Kabelanschlüsse – und das ganze 2 Tage vor dem geplanten Start am Samstagmorgen um 5 Uhr in der Früh. Die Kabelanschlüsse sollten in einem Radladen um die Ecke gerichtet werden, was etwa einen Tag benötigte. Ich wurde langsam wirklich nervös. Daher war ich überglücklich als ich am Freitagabend vor dem Start nach Feierabend dann endlich die Kabel holen konnte. Ich eilte heim und wollte endlich alles komplett verbauen – und konnte es nicht fassen: Die Anschlüsse (genauer die Kabelschuhe) waren schon wieder falsch!

Ich muss gestehen dass ich spätestens hier am heulen war. War das ganze Projekt jetzt zum Scheitern verdammt? Nicht nur dass ich keine Lampe hatte, ich hatte auch kaum geschafft alles zu packen. Es war quasi nichts vorbereitet. Gleichzeitig litt ich unter ziemlichen Schlafmangel, da ich in der Woche jede Nacht im Notdienst rausgemusst hatte und dementsprechend ziemlich platt war. Keine guten Voraussetzungen um sich auf eine Radtour zu begeben bei der man höchstens 2-3 h Schlaf finden würde und die einem körperlich und mental alles abverlangen wird. Dass der Wetterbericht zusätzlich noch wahrhaft schlecht (ich vermeide jegliches andere Wort) aussah – Verdrängungssache…

Es war zu dem Zeitpunkt 21 Uhr und ich stand ratlos im Wohnzimmer. Erstmal mit Zuhause telefonieren. Betroffenheit. Ich schluchzend, meine Eltern tröstend. „Du kannst es immer auch noch wann anders machen“ – Nein, kann ich nicht. Die nächsten Wochenenden waren vergeben an den Notdienst – mein persönliches Gefängnis. Danach würde es allein von der Jahreszeit und Zeitumstellung nicht mehr möglich sein. Zudem war ich die letzten beiden Wochen tagtäglich die Strecke im Kopf abgefahren – ich musste sie jetzt endlich tatsächlich fahren, sonst würde ich verrückt werden.

Meine Rettung war letztenendes ein sehr guter Radlfreund, Th, der spätabends noch sein Werkzeug beieinander packte und mir den ganzen Krempel mit Löten etc. richten konnte. Nachts um 1 starteten wird zu einer Testfahrt über die angrenzenden Weinberge – die Lampe funzte! Endlich! Es war zum verrückt werden. Ich war jetzt bald 24 h auf den Beinen und wusste dass ich nie im Leben um 5 Uhr, also in 4 Stunden, in Freiburg starten könnte. Erstmal schlafen.

Der Wecker reißt mich um 7.30 h aus dem Bett. Ich schaue raus – Regen! Regen und Kälte. Ziemlich zerstört versuche ich einen klaren Kopf zu fassen. Soll ich wirklich starten? Ich bin platt, müde, will nicht raus in den Regen und schon gar nicht hoch in die Berge, wo der dichteste Nebel und die nassesten Wolken sich schon jetzt festgesetzt haben. Ich will aber auch nicht aufgeben. Nicht jetzt wo alles funktioniert! Nochmal telefoniere ich mit Zuhause, nochmal hole ich mir Kraft und Mut durch das Gespräch. Ich bin ein Dickkopf und kann nicht anders: Ich muss los.

Begleitet von Th starte ich also um 14 Uhr in Freiburg am Martinstor. Zusammen radeln wir im Nieselregen den Schauinsland hoch – es gibt kein Zurück mehr. Schweigen, Kurbeln, Mut fassen. Ich bin froh gerade nicht alleine zu sein. Oben angekommen schnell ein erstes Kontrollfoto und die Regenklamotten anziehen, es wird gleich in die steile Abfahrt Richtung Münstertal gehen, den Stohren, der mit 18% Steigung bergauf schon kein Vergnügen ist, bergab im Regen aber auch nicht viel mehr Spaß macht. Eine Abschiedsumarmung, ein letztes Winken. Ich bin allein. Jetzt gibt es nur noch das Rad und mich.

Martinstor Freiburg – Start um 14 Uhr.

Schauinsland – Regen, Wind, aber das Grinsen hält.

Ich radle etwas stumpf vor mich. Das Münstertal hoch, die Stichstraße zum Belchenhaus auf 1414 Hm rauf, mache das nächste Kontrollfoto und schaue dass ich schnell wieder runter komme, es regnet immer mehr und ich bin schon jetzt klatschnass und es wird kalt hier oben.

Mit viel Optimismus meine ich ein paar Sonnenstrahlen entdecken zu können.

Die folgenden Berge im Schwarzwald radeln sich wie von selbst – zu gut kenne ich schon jeden km, jeden Anstieg und jede Kurve durch etliche vergangene Streifzüge durch diese Region. Kurz vor der Dunkelheit komme ich in Laufenburg an – Grenzübertragung der Erste. Ich muss erstmal irgendwo rein ins Warme und Essen fassen bevor es weiter durchs Schweizer Jura geht. Dass mich dort unangenehm miese, steile Steigungen von teils 20 % und schmerzhafter erwarten ist mir noch zu gut im Gedächtnis geblieben, es gilt also Körner aufzuholen. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Alles was ich finde ist ein griechisches Restaurant – für mich als Vegetarier und eigentlich auch Veganer nicht unbedingt die beste Wahl, ich kann mit Gemüse und gebackenem Feta aber gut leben und tanke kurz auf. Ungläubige Blicke verfolgen mich. Ich muss wahrlich komisch aussehen – klatschnass und in voller Radmontour und Rucksack, Lampen und Sicherheitsweste bilde ich einen ziemlichen Kontrast zu dem üblichen Samstagabendpublikum hier. Wahrscheinlich miefe ich auch schon. Aber egal. Als die Wirte mitbekommen was ich so vorhabe (ich bin mir unschlüssig ob sie mir glauben) wollen sie meine Radflaschen erstmal mit einem guten Ouzo füllen. Dankend ziehe ich dann doch lieber Wasser vor – ich bin mir nicht sicher ob mich gehäufte Pinchen jetzt nicht doch vom Sattel hauen würden.

Also geht es weiter, wieder raus in die Nacht und Richtung dem zweiten Belchen, dem Schweizer Bölchen. Es geht bergauf und bergab durchs Schweizer Jura. Ich sehe nichts und trete einfach vor mich hin. Es trätscht, schifft, rahnt einfach nur. Wenigstens brauche ich keine Angst mehr davor zu haben durchnässt zu sein, ich bin es schon und das wird sich in den nächsten Stunden laut Wetterbericht auch nicht großartig ändern.

In Eptingen (an diesen Ort habe ich nur gute Erinnerungen – nachdem ich auf meiner ersten, „eigenen“ Belchentour hier im heftigsten Gewitter von einer superlieben Familie aufgenommen und durchgefüttert wurde – samt Bett, Dusche, Schlaf – habe ich schon längst immer wieder vorgehabt hier mal wieder vorbeizuschauen, doch jetzt ist leider die falsche Uhrzeit, es geht auf 24 h zu und wecken möchte ich wirklich keinen) geht es endlich den Bölchen hoch. Kaum dass ich es mich versehe ist auch dieser Berg geschafft, ab jetzt wird es spannend da ich den nächsten Teil der Strecke nicht kenne und ab jetzt alles Neuland ist. Im Dunkeln eine Herausforderung. Oft muss ich anhalten und im Schein der Stirnlampe die einlaminierten Karten studieren, muss entscheiden ob genau diese kleine Straße jetzt die richtige oder nicht und den Steigungen klaglos folgen. Teils ist es so steil dass ich absteigen und schieben muss – es geht nichts mehr. Manchmal muss ich lachen – es haut einen schier um.

Der nächste Teil geht wie im Film an mir vorbei, es geht weiter Richtung Chasseral, dem höchsten Berg des Schweizer Jura. Ich werde oft müde, schlafe beim Kurbeln fast ein, lege mich in Vorräumen von Banken und in Wartestellenhäuschen ab, versuche mich zu wärmen, es ist ziemlich kalt geworden.

Nie hätte ich gedacht dass man beim bergauf radeln einschlafen kann – aber man kann! Immer wieder motiviere ich mich zum weitermachen, radle bis endlich endlich die Sonne wieder aufgeht und der Himmel aufreißt. Wie gut die wärmenden Sonnenstrahlen tun, ich kann es kaum fassen. Morgens kann ich mir endlich irgendwo einen Kaffee besorgen. Das erträumte gute Frühstück wird abgelöst von meinen eigenen selbst gemachten Energieriegeln, es findet sich hier im Nirgendwo nichts wo man Essen besorgen könnte. Der Weg zum Chasseral zieht sich. Wellig bergauf, bergab und immer mit Gegenwind. Teils trocken, teils schifft es. Ich kämpfe weiter.

Der Chasseral ist mit 1606 Hm der höchste Berg der Tour und verlangt mir ziemlich viel ab. Der Aufstieg ist lang, steil und langweilig. Keine Serpentinen die einen ablenken, stattdessen lange Geraden die einem den Rhythmus aus den Beinen ziehen. Hinzu kommt ein stetiger Gegenwind. Teils so stark dass es mir fast den Lenker umhaut. Stoisch schalte ich ab und radle nur. Das Kontrollfoto am Gipfelturm tut nochmal richtig weh, es ist so kalt dass ich kaum die Kamera bedienen kann. Selbst das Anziehen der warmen Klamotten wird eine Tortur. Am Rückweg halte ich schnell im Berghaus und gönne mir eine heiße Schokolade. Auch hier hatte ich mich eigentlich auf Kuchen gefreut, Fehlanzeige. Es ist laut und ungemütlich, ich will nur schnell wieder weiter. Die Abfahrt hinter mich bringen.

Das Wetter bessert sich langsam. Endlich kommt die letzte Etappe – der Weg in die Vogesen! Auf diesen Abschnitt habe ich mich am meisten gefreut – es geht durch das Tal des Doubs, einen Fluss der sich durch das französische Jura schlängelt und faszinierende Landschaften birgt.

Es geht hier über Hochebenen mit fantastischen Ausblicken Richtung Vogesen und Alpen und durch tiefe Täler die sich ins Land einschneiden. Die spektakuläre Abfahrt in eine Schlucht durch die sich der Doubs zieht genieße ich in vollen Zügen. Es geht auf den Abend zu und die Sonne scheint mir ins Gesicht, ich bin jetzt voll in meinem Element und freue mich auf das was noch kommt. Unten in der Schlucht geht es über eine kleine Brücke über den Fluss, hier würde ich am liebsten bleiben, mich ans Ufer hocken, den Campingkocher auspacken, etwas Warmes köcheln und schlafen, schlafen, schlafen. Aber die Sonne geht gleich unter und ich muss zusehen dass ich weiter komme. Die bisherigen Powernaps haben mich Zeit gekostet, es zieht mich weiter.

Sonne!

Doubs.

Den nächsten Abschnitt habe ich einfach wirklich unterschätzt. Nachdem ich gute 1,5 h damit verbracht habe aus dem Doubstal wieder herauszukommen (ich musste den steilen Weg laufen und das Rad schieben, zu steil war es mit durchgängig guten 18 % und mehr und zu leer waren die Beine von den bisherigen langen und steilen Anstiegen) geht es durch eine irrsinnig lange Nacht durch die französische Ebene in Richtung Vogesen. Es ist kalt und neblig, die feuchte Kälte kriecht mir in alle Knochen und Muskeln. Immer wieder muss ich vom Rad runter, mich hinlegen, in Straßengräben und auf Wiesen ablegen um kurz Schlaf nachzuholen. Meine dünne Rettungsdecke isoliert nur wenig, zu nass sind meine Klamotten und zu tief ist die Kälte bereits in alle Poren gekrochen. Meist wache ich von der Kälte wieder auf, es braucht immer einige Minuten bis ich mich wieder rühren kann. Weiter kurbeln.

Zwischendurch versuche ich das geliehene GPS-Gerät in Gang zu bringen, stelle aber nur fest dass ich es nicht richtig bedienen kann. Super. Ich ärgere mich wieder über mich selbst. Alles getreu dem Motto „wird schon funktionieren“ gibt es leider manchmal Dinge mit denen man sich doch vorher etwas mehr befassen sollte. So auch hier. Ich verliere die Geduld und radle nach Karte weiter. Prompt fahre ich im Dunkeln gute 15 km ins falsche Seitental – ein Alptraum. Umkehren und zurückradeln, nicht weiter drüber nachdenken, nicht aufgeben.

Im Morgengrauen komme ich endlich in den Vogesen an. Der erste wieder richtige Anstieg seit dem Chasseral verlangt einem gleich wieder alles ab. Ein kleines Natursträßchen schlängelt sich schmal den Berg hinauf. Hin und wieder gilt es einen Traktor zu überholen, was bedeutet: absteigen und schieben, denn die Straße ist zu schmal für beide. Aufsteigen und wieder in die Klickpedale zu kommen grenzt bei diesen steilen Anstiegen an ein Ding der Unmöglichkeit. Ich könnte lachen und weinen gleichzeitig, fluche und schreie wenn ich wieder mal abrutsche und mit dem Rad fast umkippe.  

Wieso in aller Welt tue ich das alles bloß? Zweifel kommen und gehen. Sehnsucht nach Hause nagt an mir und der Gedanke an die Familie treibt mich an. Nicht das erste Mal wird mir überdeutlich bewusst dass ich ohne solche starken Wurzeln in der Heimat zu solchen Leistungen nicht fähig wäre – denn gerade in den härtesten Momenten schöpfe ich gerade daraus die meiste Kraft.

Die Vogesen halten noch etliche Berge für mich bereit – 160 km und 4000 Hm sind ab jetzt noch zu bewältigen. Fast schon Endspurt! Ich muss oft an das Zeitlimit denken – die Zeit drängt. Schaffe ich 54h? Spätestens kurz vor dem Petit-Ballon, meinen liebsten Berg in den Vogesen, wird mir klar dass ich es kaum mehr schaffen kann. Zu viel Zeit habe ich mit dem Verfahren und Schlafen „vertrödelt“, zu viel Kraft hat mich der Regen und die Kälte gekostet. Aber nichts desto trotz: Ich werde es schaffen können! Wenn ich jetzt durchhalte, kann ich den Belchensatt endlich „abhaken“ und zur Ruhe kommen lassen.

Kurz vorm Petit-Ballon stopfe ich den Rest Hirse und Nüsse in mich hinein. Die Riegel sind längst leer, viel Proviant habe ich nicht mehr. Der Plan vor den Vogesen nochmal einzukaufen und eventuell auch was Warmes zwischen die Zähne zu bekommen wurde durch schlechtes Timing zerstört – es war zu früh am Morgen und alles hatte noch zu. Nicht mal ein französisches Baguette war aufzutreiben – ein Unding.

Ich telefoniere mit Th, gebe  ihm Bescheid dass es mir gut geht und ich es fast geschafft habe. Er will mir entgegenradeln und die letzten langen km durch die Rheinebene zurück nach Freiburg beistehen.

Wie froh ich bin endlich jemand Bekanntes zu sehen, zu reden, mich mitzuteilen, nicht mehr alleine zu sein! Zu realisieren dass ich das jetzt wirklich geschafft habe – so gut wie!

Petit-Ballon. Aufatmen in der Abendsonne.

In Osenberg am Fuße der Vogesen treffen wir uns, mitgebracht hat er selbstgemachte Riegel, aber ich kann kaum mehr etwas essen, will nur noch ankommen. Die letzten 70 km, flach und langweilig, fahren wir im Dunkeln zusammen. Immer wieder muss ich anhalten, schlafe ein, mag nicht mehr. Immer wieder redet er gut auf mich ein, macht mir Mut, hält mich fest wenn ich im Stand zur Seite kippe und drohe umzufallen weil der Schlaf meinen Körper langsam besiegt. Mit aller Macht versuche ich durchzuhalten, bin aber kaum mehr bei mir. Ich will heimfahren, mir ist es egal ob ich ankomme, alles egal, will nur noch schlafen.

Und dann, gegen 24 h stehe ich endlich am Martinstor. Gute 58 h nachdem ich Samstagmittag gestartet bin habe ich es tatsächlich und entgegen aller Erwartungen geschafft. Ich bin fix und fertig, fahre mit Th heim, dusche, bekomme ein warmes Essen und sehe zu dass ich nach 4 h Schlaf morgens um 8 wieder an der Arbeit stehe. Mit Schlafmangel, müde, geschwollenen Augen und Beinen, aber voll mit diesen wahnsinnigen Grenzerfahrungen, voll mit dem Stolz es geschafft zu haben und überwältigt von den Landschaften die sich mir in den letzten 58 h gezeigt haben. Ich bin dankbar, einfach nur dankbar.

Chronik Belchensatt Oktober 2016

Start: Samstag 14 Uhr

Ankunft: Montag 23.56 Uhr

Strecke: 689,94 km

Höhenmeter: 13349 

Reine Fahrzeit: 41,32

Chasseral – Turm.

Müdigkeit.

Martinstor Freiburg – 23.56 h.

Entschleunigung - La Gomera.
Trail du Petit-Ballon 2017.

15 Kommentare bei „Belchen satt 2016.“

  1. Holla die Waldfee, denke ich hätte das nicht durchgehalten. Gratulation zu der enormen Leistung.

    1. Vielen lieben Dank! Ja im Nachhinein denke ich mir auch schonmal wie man das eigentlich durchhalten konnte – aber irgendwie ging es. Was muss das muss und wenn der Dickkopf sich was in den Kopf gesetzt hat muss es auch durchgezogen werden, egal was die Beine davon halten 😉 Die Tour ist es jedenfalls wert durchgehalten zu werden 🙂

  2. Hi Leona,

    ich bin grad zufällig über die Seite der ARA Breisgau auf deine Website gestoßen. Ich bin auch Tierarzt in Freiburg und sehr erstaunt darüber, dass du es trotz Notdiensten und vermutlich viel Arbeit schaffst, Langstrecken zu fahren und zu Laufen. Hut ab!!
    Ich mache seit fast 30 Jahren Triathlon, auch im Ultrabereich, und seit 7 Jahren fahre ich bei der ARA Breisgau mit.

    LG Chris Molz

    1. Hallo Christian, dir auch vielen vielen Dank! Da schreib ich dir doch gleich mal eine PN wenn du hier so quasi um die Ecke bist 🙂

  3. Toll, Chapeau…. Dieses Erlebnis nimmt dir keiner mehr. Und der Bericht war auch sehr schön geschrieben, danke dafür.

    1. Vielen vielen Dank – und gern geschehen 🙂 Die Erinnerungen bleiben wirklich für immer! 🙂 Liebe Grüße!

  4. Hi Leona,
    Gratulation zu Deiner Leistung! Und vorher bist Du noch keine Brevets gefahren? Seit ein paar Jahren fahre ich schon ARA-Brevets und habe die Belchen Satt-Strecke auf der Landkarte abgefahren, aber bisher hat es noch nicht geklappt.
    Viele Grüße
    Jan

    1. Hej Jan, Dank dir! 🙂 Nein, bisher noch nie, zumindest noch keinen offiziellen. Bin nur für mich schon öfters bsp. über die Alpen geradelt (kleines Gepäck, Rucksack, spontane Bleiben) und habe das am liebsten mit langen und vor allem bergigen Etappen verknüpft, was schon quasi „brevetmäßig“ war aber eben nicht offiziell 😉 Deine Seite schau ich mir auch mal an, das klingt interessant 🙂 Liebe Grüße! Leona

  5. Hi Leona, Glückwunsch, toll gemacht und schöner Bericht. Habe ich mit Interesse gelesen !
    Bei mir ist es am 01. August soweit. Freue mich drauf, auch wenn ich mich sicherlich auf der Strecke mehrfach fragen werde : WARUM MACHE ICH DAS ?
    Vielleich denke ich dann ganz einfach an dich und das gibt mir sicherlich wieder Motivation ?

    Grüsse
    Wolfgang

    1. Lieber Wolfgang,

      Vielen Dank für dein Kommentar! 🙂 Freut mich dass du aus dem Bericht Motivation schöpfen willst – ich hoffe es hilft dir und wünsche dir schonmal viel Spaß und Durchhaltevermögen! Jaa, warum man das macht – das fragt man sich wirklich öfters mal, aber die Strecke gibt einem so viel zurück dass man die Antwort meist nicht lange sucht 😉 Die Landschaften sind einfach nur herrlich und die Straßen ein Traum, das macht es „leichter“ 😉
      Viele Grüße und Kette rechts 🙂
      Leona

  6. Hallo Leona,

    ebenso wie Christoph bin ich durch die ARA Breisgau Seiten auf Deinen tollen Bericht (vielen lieben Dank dafür!) aufmerksam geworden. Er weckt Erinnerungen an meinen eigenen „Belchen Satt“ Start im Juli 2015 – siehe 16 Berichte auf den „Berichte“-Seiten früher. Weil ich nun aus eigener Erfahrung weiß, dass sich über diese harte und landschaftlich hinreißende Tour viel einfacher schreiben als dass sie sich Abradeln läßt, kann ich Deinen sportlichen wie auch mentalen Kraftakt bis zum Finish nur bewundern – Chapeau auf ganzer Linie! Übrigens habe ich als langjähriger Veganer mich in Deinem Bericht besonders über Deine tierfreundliche Kostform gefreut. In diesem Sinne: Go vegan, cycle vegan, stay vegan. 😉

    Mit (tier-)lieben Grüßen
    Rainer

    1. Lieber Rainer,
      Vielen vielen Dank für deinen Kommentar! 🙂 Freue ich mich sehr darüber, auch wenn es bei dir wahrscheinlich auch teils schmerzhafte Erinnerungen geweckt hat 😉 Das Schreiben fiel definitiv leichter.. Aber zum Glück vergisst man die Schinderei ja auch schnell wieder,
      was bleibt sind tolle Erinnerungen 🙂
      Liebe und auch tierliebe Grüße zurück!
      Kette rechts 🙂
      Leona

  7. Hallo Leona,
    Dein ist Bericht ist von Wahrhaftigkeit Dir selbst und anderen gegenüber getragen. Das macht ihn wertvoll! Er hat mich erfreut! Danke!
    Liebe Grüße,
    Rudi

    1. Vielen vielen Dank Rudi für das tolle Kommentar! 🙂 Hat mich auch erfreut das so zu hören 😉
      Liebe Grüße und Kette rechts 🙂 Leona

  8. Hallo Leona,
    eigentlich wollte ich im Netz nur mal eben nach Infos für eine neue Übersetzung an meinem Bombtrack Beyond suchen und bin so – quasi über den European Divide Trail – auf deine Homepage gestoßen.
    Seit Stunden vernachlässige ich nun meine Arbeit und stöbere ich deinem interessanten Blog. Das sind ja tolle Berichte und eine große Inspiration für alle, die das Abenteuer und nach Inhalten suchen.
    Ich wünsche dir alles Gute und viele weitere Abenteuer. Und, vielleicht hast du ja einen Tipp für mich wegen einer guten Berg-Übersetzung für mein Bombi mit Gepäck 😉 – wenn nicht du, wer dann?
    Viele Grüße aus Köln
    Heinz Wilden

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